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Gute Arbeit: Barrierefrei!

Menschen mit Behinderung haben ein gleiches Recht auf Arbeit, und insbesondere

„das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt und angenommen wird.“

Artikel 27 UN-Behindertenrechtskonvention

Die Zielvorgabe ist klar: Arbeitnehmer*in auf dem ersten Arbeitsmarkt zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts als Regelfall, geschützte Beschäftigung z.B. in einer Werkstatt als Ausnahme, wenn anders eine Teilhabe am Arbeitsleben nicht möglich ist.

Rückblick auf unsere Veranstaltung am 2. Dezember 2022

Am 2. Dezember 2022 hatte Sven Meyer (MdA) gemeinsam mit der AG Selbst Aktiv Reinickendorf zur Veranstaltung „Gute Arbeit: Barrierefrei!“ in seine Bürgerbüro eingeladen. Es diskutierten Regina Vollbrecht (Beauftragte für Menschen mit Behinderung), Beate Baumgärtner (Mosaik gGmbH), Alise Sulen (Ergänzende Unabhängige Teilhabe-Beratung) und Thomas Koch (AG Selbst Aktiv). Hier ein Rückblick.

Beate Baumgärtner, Sven Meyer, Regina Vollbrecht (v.l.n.r.) Foto: Büro S. Meyer

Zusammenfassung

Fachleute und Politik wollen eine bessere Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt. Die Werkstätten als geschützte Einrichtungen stehen auf dem Prüfstand: Vorgeschlagen wird die Einführung des Mindestlohns und der Arbeitnehmer-Status für die Beschäftigten. Betreuungsleistungen, Wohngeld und Grundsicherung kommen bei Bedarf hinzu. Werkstattrat Deutschland, eine Interessenvertretung der Beschäftigten, will stattdessen ein steuerfinanziertes „Basisgeld“ sowie eine Beibehaltung des „Rentenprivilegs“ für eine Erwerbsminderungsrente. Materiell die vorteilhaftere Lösung für viele Beschäftigte, aber zugleich die Zementierung der Trennung zwischen geschützten Werkstätten und Arbeitsmarkt. Ein Zielkonflikt, der politisch in den kommenden Monaten auf der Bundesebene entschieden wird. Bei unserer Veranstaltung zeigten sich alle Beteiligten offen für die anstehenden Veränderungen. Viele Einzelfragen sind jedoch sorgfältig zu klären, einfache Lösungen kann es nicht geben. Auch in Reinickendorf gibt es zahlreiche Einrichtungen und Angebote, die Menschen mit Behinderung materiell und sozialpädagogisch in der Arbeitswelt begleiten. Vieles ist noch wenig bekannt und (unnötig) kompliziert. Auch deswegen kam aus der Runde der Wunsch, solche Treffen zum Austausch und zur Vernetzung fortzuführen.

Zur Situation in Reinickendorf

Beate Baumgärtner, Ausbildungskoordinatorin | Sozialpädagogischer Dienst
Mosaik Berlin gGmbH Anerkannte Werkstatt für Menschen mit Behinderung
:
Als Mosaik in den sechziger Jahren gegründet wurde, waren die Werkstätten das einzige Modell für den Zugang von Menschen mit Behinderung zum Arbeitsmarkt. Mitte der achtziger Jahre startete Mosaik erster Träger mit den Integrationsbetrieben. „Die schaffen das ja doch nicht!“, hieß es damals. Inzwischen gibt es Integrationsbetriebe mit tariflicher Bezahlung seit 30 Jahren. Mosaik hat auch heute noch ein schwächeres und betreuungsintensiveres Klientel als andere Werkstätten, mit entsprechend schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Außenarbeitsplätze, wo Beschäftigte der Werkstatt in einem Betrieb des ersten Arbeitsmarkts tätig sind, können eine interessante Möglichkeit für Arbeitgeber und Beschäftigte darstellen.

Alise Sulen, Unabhängige Ergänzende Teilhabe-Beratung (EUTB) Reinickendorf
Sozialverband VdK Berlin-Brandenburg e.V.
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EUTB bietet träger- und behördenunabhängige Beratung zu Teilhabe-Leistungen nach dem Peer-to-Peer-Prinzip, also in der Regel durch Menschen mit Behinderung: Welche Möglichkeiten gibt es? Was passt? – EUTB leistet Beratung mit Fokus auf den Ratsuchenden. Bedarf an solchen Beratungen gibt es oft auch bei Menschen, die Angst vor einer möglichen Behinderung haben. Beschäftigte aus Werkstätten kommen dann in die Beratung, wenn sie mit ihrer Situation unzufrieden sind und einen Wechsel wollen. Aber auch wenn sie einen Wechsel in den ersten Arbeitsmarkt anstreben, gibt es doch auch Ängste und Verunsicherung. Deswegen muss das System in beiden Richtungen durchlässig werden. 

Regina Vollbrecht, Beauftragte für Menschen mit Behinderung
Bezirksamt Reinickendorf
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Der neue Aktionsplan „Reinickendorf barrierefrei“ beschreibt konkrete Zielvorgaben für alle Bereiche des Bezirksamts. In der Beratungsarbeit kommen die Werkstätten selten vor. Die Un-Behindertenrechts-Konvention beschreibt eine großartige Vision, aber entscheidend ist auch, dass die Menschen mit Behinderung sich sicher und wohl fühlen. Bei der Aktion „Schichtwechsel“ macht auch Mosaik gGmbH mit. Zahlreiche Hilfen zum Arbeitsmarkt bietet das Integrationsamt, aber die Förderstruktur ist kompliziert. 

Werkstätten für Menschen mit Behinderung

Im Bürgerbüro von Sven Meyer

Aufgaben

Die Aufgaben der Werkstätten für Menschen mit Behinderung sind geregelt in § 219 des SGB IX ( dieses Gesetz regelt die Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung). Die Werkstätten sind Einrichtungen zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben. Sie sollen für Menschen, die wegen ihrer Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können:

  • Berufliche Bildung und
  • Beschäftigung anbieten.
  • Ihnen ermöglichen, ihre Leistungs- und Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen und ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln.
  • Den Übergang geeigneter Personen auf den ersten Arbeitsmarkt fördern.
  • Personen in besonderen Gruppen oder Einrichtungen betreuen, für die eine Beschäftigung in der Werkstatt nicht möglich ist, weil sie sich selbst oder andere gefährden, oder weil bei ihnen ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung dauerhaft nicht zu erwarten ist.

Eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung hat drei Bereiche:
Eingangsbereich
Berufsbildungsbereich:
meist2 Jahre, breites Angebot an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, jedoch keine Berufsausbildung. Im Berufsbildungsbereich wird auch entschieden, ob eine Beschäftigung in der Werkstatt die richtige Form der Teilhabe am Arbeitsleben ist.
Beschäftigungsbereich: Rechtlicher Status der Beschäftigten: „arbeitnehmerähnlich“. Ausgelagerte Arbeitsplätze sind Arbeitsplätze in Betrieben des ersten Arbeitsmarktes, wo Menschen mit Behinderung sich ausprobieren können, mit der Möglichkeit, jederzeit wieder in die Werkstatt zurückzukehren.

Arbeitsentgelt für die Beschäftigten

In Deutschland arbeiten ungefähr 300.000 Menschen in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. In Berlin sind es 8.150, in Brandenburg 11.489 (Zahlen aus 2020). Das durchschnittliche Arbeitsentgelt lag bei 200 Euro / Monat (2020 in Berlin); es setzt sich zusammen aus einem feststehenden Grundbetrag von109 Euro und einem individuellen Steigerungsbetrag. Dazu kommt das steuerfinanzierte Arbeitsförderungsgeld von maximal 52 Euro (bis zur Höchstgrenze von insgesamt 351 Euro/Monat).

Wichtig ist die Absicherung im Alter durch das sogenannte „Rentenprivileg“: Für ihre Beschäftigten zahlt die Werkstatt die Rentenbeiträge, und zwar orientiert an 80 Prozent des durchschnittlichen Arbeitsentgelts auf dem ersten Arbeitsmarkt. Die Beschäftigung in einer Werkstatt gilt als Wartezeit für einen frühzeitigen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung (nach 20 Jahren).

Wie können die Werkstätten zukunftsfähig gemacht werden?

Die Zielvorgabe für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung, wie sie z.B. die UN-Behindertenrechts-Konvention (UN-BRK) formuliert, ist klar: Beschäftigung als Arbeitnehmer*in auf dem ersten Arbeitsmarkt zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts als Regelfall, geschützte Beschäftigung z.B. in einer Werkstatt als Ausnahme, wenn anders eine Teilhabe am Arbeitsleben nicht möglich ist. Die Werkstätten einfach abzuschaffen, würde für manche Menschen mit Behinderung den völligen Ausschluss vom Arbeitsmarkt bedeuten und widerspräche dem Geist der UN-BRK.

Wie können die Werkstätten ihre Aufgaben im Sinne dieser Zielvorgabe noch besser erfüllen? – Eine Schlüsselstellung bei der Klärung dieser Frage ist das Arbeitsentgelt.

Überlegungen der Bundesregierung

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sieht offensichtlich Handlungsbedarf bei der Umsetzung dieses Rechtsanspruchs und hat eine Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beim Kölner Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik in Auftrag gegeben. Bislang liegen zwei Zwischenberichte vor: Der erste zu den rechtlichen Rahmenbedingungen, der zweite zu einer Umfrage unter den Werkstätten und den dort Beschäftigten Menschen.

Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Erster Zwischenbericht (Oktober 2021)

https://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/Forschungsberichte/fb-586-studie-entgeltsystem-fuer-menschen-mit-behinderungen-zwischenbericht.html

Zweiter Zwischenbericht (September 2022)

https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/Forschungsberichte/fb-607-entgeltsystem-fuer-menschen-mit-behinderungen.pdf;jsessionid=B4496A6B4F73AE84886A60CB29997EE7.delivery2-replication?__blob=publicationFile&v=4http://

Wie kann die Entlohnung der Beschäftigten verbessert werden?

Die Studie des Ministeriums untersucht drei Modelle:

A: Erhöhung des Arbeitsförderungsgelds
Die CDU-Fraktion im Bundestag schlägt eine moderate Erhöhung des steuerfinanzierten Anteils der Entlohnung, auch die Werkstatträte Deutschland denken in diese Richtung. Der Vorteil: Die Bezahlung der Beschäftigten hängt nicht ausschließlich vom wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens Werkstatt ab, die bessere Entlohnung der leistungsstärkeren Beschäftigten geht nicht zu Lasten der weniger leistungsstarken. Der Nachteil: Am grundsätzlichen Status der Beschäftigten („arbeitnehmerähnlich“) ändert sich nichts.

B: Einführung eines Basisgeldes
Aus Steuermitteln finanziert ist auch der Vorschlag der Werkstatträte Deutschland zur Einführung eines Basisgeldes in Höhe von 70 Prozent des durchschnittliche Nettoentgelts auf dem ersten Arbeitsmarkt (in 2019: 1.449 Euro im Monat). Das „Rentenprivileg“ soll beibehalten werden. Deutliche Verbesserung der materiellen Situation der Beschäftigten, könnte jedoch den Übergang in den ersten Arbeitsmarkt eher erschweren.
„Rentenprivileg“: Für ihre Beschäftigten zahlt die Werkstatt die Rentenbeiträge, und zwar orientiert an 80 Prozent des durchschnittlichen Arbeitsentgelts auf dem ersten Arbeitsmarkt. Die Beschäftigung in einer Werkstatt gilt als Wartezeit für einen frühzeitigen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung.

C: Mindestlohn in den Werkstätten
Dieser Vorschlag (Paritätischer Wohlfahrtsverband, SPD Berlin) zielt auf eine deutliche Verbesserung der Durchlässigkeit zum ersten Arbeitsmarkt, denn die Beschäftigten in den Werkstätten erhalten rechtlich den Status von Arbeitnehmer*innen. Durch Wohngeld und ergänzende Grundsicherung sind auch in diesem Modell Steuermittel enthalten. Die materielle Situation der Beschäftigten würde nur leicht verbessert. Die Abschaffung des „Rentenprivilegs“ ist jedoch mit finanziellen Nachteilen verbunden.

Was wollen die Beschäftigten?

Die Befragung der Beschäftigten hat ergeben:

  • Die Grundbetrag wird als zu niedrig wahrgenommen; eine deutliche Erhöhung des Werkstatt-Entgelts für alle wird gefordert.
  • Die Beschäftigten wünschen eine stärkere Differenzierung des Entgelts nach individueller Leistungsfähigkeit.
  • Nach einem Wechsel auf den Arbeitsmarkt sollten die Beschäftigten in jedem Fall mehr verdienen als in der Werkstatt.
  • Gut ein Viertel aller Beschäftigten würde gern eine Ausbildung in einem Betrieb auf dem Arbeitsmarkt machen, aber 43 % der überwiegend jungen Menschen im Eingangsbereich / Berufsbildungsverfahren haben diesen Wunsch.
  • 29 % aller Befragten wollen gern auf den Arbeitsmarkt wechseln, aber 51% der Menschen im Eingangsbereich / Berufsbildungsverfahren, sowie 42% der Beschäftigten, die früher bereits auf dem Arbeitsmarkt gearbeitet haben.

Andere Möglichkeiten, die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu fördern

Budget für Ausbildung

Anleitung und Begleitung bei Ausbildung und Berufsschule, Erstattung der Ausbildungsvergütung durch die Agentur für Arbeit.

Budget für Arbeit

Für Menschen mit Behinderung, die Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Beschäftigung in  einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung haben: Zum Ausgleich der behinderungsbedingten Leistungsminderung wird ein Lohnkostenzuschuss an den Arbeitgeber gezahlt. Er kann bis zu 75 Prozent des regelmäßig gezahlten Arbeitsentgelts betragen und dauerhaft gewährt werden. Außerdem ist die Übernahme der Kosten für die wegen der Behinderung erforderlichen Anleitung und Begleitung am Arbeitsplatz möglich.

Inklusionsbetriebe

In Inklusionsbetrieben arbeiten in der Regel Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam. Die Unternehmen beschäftigen zwischen 30 und 50 Prozent Menschen mit Schwerbehinderung. Dabei erhalten die Beschäftigten bei Bedarf Unterstützung, beispielsweise durch arbeitsbegleitende Betreuung oder Qualifizierungsmaßnahmen. Häufig arbeiten Werkstätten eng mit Inklusionsbetrieben zusammen.

Thomas Koch

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